Mordreds Tales
© 2010 – 2024 Marcel Wolters







 

Michél



Regen. Der alte Mann da oben scheint schlechte Laune zu haben. Ich sitze hier, warte, harre der Dinge, die da kommen und der alte Mann veranstaltet ein Unwetter vom Feinsten.

Regen oder nicht Regen – es ist keine Frage. Ich bleibe hier, verborgen, ungesehen. Jemand Böses plant etwas Böses. Jemand Böses plant immer etwas Böses. Aber diesen Bösen werde ich erwischen.

***


Caroline war ein lebenslustiges Mädchen. Kein Mädchen, eine Frau. Ende 20. Sie ging gern aus. Zu meiner allgemeinen Verblüffung bevorzugte sie Opern statt Discotheken. Statt des neuesten „Blockbusters” aus dem Lande der unbegrenzten Möglichkeiten sah sie schon mal lieber ein Stück von Schiller in einem Laientheater. Dort war es, wo ich sie das erste Mal traf.

Caroline saß in der fünften Reihe im „Theatre des Vampires”, eines kleinen Theaters am Rand von Paris, das seinen Namen einem Schauerroman entnommen hatte. Sie war mir sofort aufgefallen. Ihr leuchtend rotes Haar ragte aus der Menge wie eine Fackel aus der Dunkelheit. Ich besaß nicht den Mut, sie anzusprechen. Zu selbstbewusst erschien sie mir. Aber ich kam wieder.

Sechste Reihe, dritter Platz von links, einen Monat später. Carolines roter Schopf schien einem Sonnenuntergang gleich. Ich sprach sie nicht an. Sie schien zu zerbrechlich.

Zwei weitere Wochen danach, es war der 13. Mai, ein Freitag, saß sie 3 Reihen hinter mir. Ich nahm all meinen Mut zusammen und ging nach der Vorstellung auf sie zu.

„Sie kommen öfter hierher”, kam Caroline mir zuvor. Gut, damit nahm sie mir eine große Last, gab mir die Gelegenheit, nicht alles durch eine dumme Frage zu verderben. Ich lächelte.

„Sie aber auch.”

„Ich dachte schon”, fuhr sie mit scheuem Blick fort, „Sie hätten mich gar nicht bemerkt.”

„Ich besuchte jeden Freitag in den vergangenen sechs Wochen dieses Theater”, entgegnete ich. „Zweimal saßen Sie vor, heute hinter mir. Um ehrlich zu sein, ich hätte dieses Haus kein zweites Mal besucht, hätte ich Sie hier nicht gesehen.”

Caroline lachte. Sie senkte den Blick und sah mich mit einer Mischung aus Laszivität und Schüchternheit an. Und sie ließ sich von mir zu einem Glas Wein einladen.

Ich traf Caroline die nächsten 8 Monate regelmäßig. Im Theater. Anschießend luden wir uns abwechselnd auf einen Drink ein, diskutierten das Stück, sprachen über die Dinge, die in der Welt geschahen, über uns. Wir trafen uns zwischendurch. Einfach so. Saßen am Ufer der Seine und beobachteten die Enten. Schwiegen miteinander. Genossen die Sonne oder lachten mit dem Mond um die Wette.





Dann, vor drei Wochen ungefähr, wurde Caroline schweigsamer. Vor einer Woche trafen wir uns das letzte Mal.

Ich wusste nicht, warum Caroline fernblieb. Aber ich hatte ein schlechtes Gefühl. Sie kam nicht mehr ins Theater, obwohl sie es über alles liebte. Ich schrieb ihr eine E-Mail. Sie antwortete knapp, sie könne mich im Augenblick nicht treffen. Am Telefon versicherte sie mir, dass alles gut sei, ich mich aber besser von ihr fernhalten solle. Ihre Stimme klang traurig, ängstlich.

Ich besuchte die Kirche, in der Caroline arbeitete. Der Pfarrer sagte, Caroline sein heute nicht zur Arbeit erschienen. Er sorgte sich. Es war nicht Carolines Art, einfach fernzubleiben. Umso mehr sorgte ich mich. Und nun sitze ich im Regen und beobachte das Haus in dem Caroline lebt.

***


Der Regen lässt und lässt nicht nach. Meine Kleidung ist durchnässt und ich fühle mich kalt. Dort ist Caroline. Schemenhaft sehe ich ihre Gestalt am Fenster vorbeiziehen. Sie löscht das Licht.

Knapp zwei Minuten vergehen, bis sich die Haustür öffnet. Es ist Caroline. Sie sieht sich unsicher, angstvoll um. Dann spannt sie ihren Regenschirm auf und tritt auf den Gehsteig.

Wagentüren öffnen sich. Drei Männer entsteigen einem schwarzen Audi. Caroline dreht sich um, als sie sie sieht und versucht in die andere Richtung zu fliehen. Jemand steigt aus einem Lieferwagen und stellt sich Caroline in den Weg. Fünf Männer in weißen Mänteln umringen sie. Es ist an der Zeit.

Ein dunkler Schatten legt sich über die Straße. Caroline erschrickt. Die Männer auch. Zwei von ihnen ziehen Revolver aus ihren Mänteln. Zwei Männer gehen zu Boden, ihre gebrochenen Hände ließen die Waffen fallen. Ein dritter Mann stürzt sich mit einem Springmesser auf mich. Mit einem kleinen Satz stehe ich hinter ihm, mein Fuß schickt ihn zu Boden. Die restlichen Zwei versuchen zu fliehen. Sie haben nicht ganz einhundert Meter zurückgelegt, als sich ein paar schwarzer Flügel über ihnen ausbreitet. Von meinen Fäusten am Kinn getroffen sinken auch diese Boden.

Ich schleife die beiden Männer, die zu fliehen versuchten, zu den anderen. Caroline steht zitternd – halb vor Kälte, halb vor Angst – an der Hauswand. In ihrer Hand hält sie ihr Handy. Sirenen. Blaulicht bewegt sich auf uns zu. Caroline hat die Polizei gerufen. Ich sehe mich noch einmal um, vergewissere mich, dass Caroline keine Gefahr mehr droht. Die Polizei wird sich um die Männer kümmern.

Ich nicke Caroline lächelnd zu und wende mich zum Gehen. Sie hätte nie wissen sollen, was ich bin. Sie hätte mich nicht in meiner wahren Gestalt sehen sollen.

„Michél?”, fragt sie unsicher.

„Ja.” Ich drehe mich um, streiche ihr eine Locke aus dem Gesicht, lächle sie an. Caroline lächelt zurück.

„Im Theater wird ‚Othello’ gespielt. Freitag?”

„Ja.”




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